Interne Emails der „AG Impfpflicht“ freigeklagt
Meine IFG-Klage war erfolgreich: Mir wurden 987 Seiten interner Emailverkehr der "AG Impfpflicht“ ausgehändigt. Ich veröffentliche hiermit das gesamte Dokument und meine erste Analyse dazu:
velazquez.press/p/interne-em…
Download "AG Impfpflicht" Emails:
my.hidrive.com/lnk/clKPGhERk…
Im Februar diesen Jahres kam durch die Protokolle des RKI-Krisenstabs die Existenz eines weiteren Gremiums ans Tageslicht: Die sogenannte „AG Impfpflicht“. Es handelte sich hierbei um eine interministerielle Arbeitsgruppe, die im Winter 2022 den Gesetzesentwurf zu einer allgemeinen Impfpflicht vorbereitete. Sie bestand aus Abgeordneten der damaligen Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP, unter der Federführung des damaligen Gesundheitsministers Karl Lauterbach. Eine breite Auswahl an Ministerien und Behörden war eng in die Vorbereitung des Gesetzesentwurfs eingebunden. Die Leitung der AG oblag der BMG-Unterabteilung 61 “Gesundheitssicherheit”, und fiel damit in das Ressort von Heiko Rottmann-Großner - einer Schlüsselgestalt für die Corona-Maßnahmen in Deutschland.
Seit Februar läuft meine IFG-Anfrage zu den Dokumenten der AG Impfpflicht. Weil das RKI darauf nicht reagierte, reichte ich Klage beim Verwaltungsgericht Berlin ein. Vor wenigen Tagen wurde mir seitens des RKI ein Datensatz von 987 PDF-Seiten Emails und Email-Anhängen ausgehändigt. Laut RKI seien Emails, jedoch keine Sitzungsprotokolle oder sonstiges Material zur AG Impfpflicht vorhanden.
Das RKI hatte mir angeboten, den Emailverkehr zur AG Impfpflicht mit geschwärzten Namen Dritter an mich herauszugeben - anderenfalls müsste noch ein sogenanntes Drittbeteiligungsverfahren durchgeführt werden, in dem alle Betroffenen einzeln angefragt werden, ob sie einer Offenlegung ihres Namens zustimmen. Erfahrungsgemäß kann sich ein solches Verfahren lange hinziehen, und führt selten zum gewünschten Ergebnis, weshalb ich mich mit den Schwärzungen einverstanden erklärt habe. Im vorliegenden Datensatz wurden erfreulicherweise nur Absender- und Empfängernamen geschwärzt - der Inhalt der Emails und Dokumente wurde ungeschwärzt herausgegeben.
Das Konvolut umfasst den Zeitraum vom 13. Dezember 2021 bis zum 05. April 2022 - bis zwei Tage vor der Abstimmung zur allgemeinen Impfpflicht im Bundestag. Neben behördlichen Emails sind auch zahlreiche Email-Anhänge in Form von PDF-Dokumenten enthalten, etwa das Österreichische Gesetz zur Covid-19-Impfpflicht, Entwurfsfassungen des Gesetzes zur allgemeinen Impfpflicht mit Randkommentaren der Ministerien, sowie die Gesetzesentwürfe anderer Fraktionen.
Wie aus den Emails hervorgeht, übermittelte die Gruppe von Abgeordneten aus SPD, Grünen und FDP, die eine allgemeine Impfpflicht plante, am 21. Januar 2022 einen umfangreichen Fragenkatalog an das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Das BMG markierte im Fragebogen, welche Behörde sich zu welcher Frage äußern sollte, und leitete ihn anschließend an die entsprechenden Stellen weiter. Die Abgeordneten interessierten sich insbesondere für die praktische Durchführbarkeit der allgemeinen Impfpflicht:
„Welche weiteren Vollzugsmöglichkeiten nach erfolgtem Bußgeldbescheid und jenseits einer Erzwingungshaft kommen für die Durchsetzung der Impfpflicht in Betracht? Inwieweit kann das Bußgeld in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe ausgestaltet werden? (.) Wie häufig müsste bzw. dürfte ein Bußgeld verhängt werden, ist dies nur einmal angezeigt oder auch mehrmals möglich oder geboten?“
Auf eine “Erzwingungshaft” wollte man großzügigerweise verzichten. In der Begründung für die allgemeine Impfpflicht sollte auch deren „positive Freiheitsbilanz“ beschrieben werden.
Beim Verhalten des RKI fällt insgesamt auf, dass es in seinem internen Krisenstab bereits ab dem 12. Januar 2022 Zweifel an der allgemeinen Impfpflicht hegte - aber diese "nach außen hin", in der AG Impfpflicht unter Heiko Rottmann-Großner, nicht artikulierte, sondern stattdessen in diesem Gremium die allgemeine Impfpflicht rundheraus empfahl.
Dabei wurde seitens des RKI wiederholt auf “Modellierungsdaten” von Dirk Brockmann verwiesen, welche die notwendige Durchimpfungsrate in Deutschland aufzeigen würden. Als weitere wichtige Grundlage wurde häufig die COSMO-Studie von Prof. Cornelia Betsch, einer Verhaltensforscherin und Nudging-Expertin der Universität Erfurt, genannt. Grund genug, sich die Arbeiten der beiden Forscher noch einmal zu vergegenwärtigen - und warum diese möglicherweise eine zentrale Rolle bei der Debatte um die allgemeine Impfpflicht in Deutschland gespielt haben.
Nur an einigen wenigen Stellen während der AG Impfpflicht blitzte die Einsicht auf, dass die Begründung einer allgemeinen Impfpflicht mit reinem “Individualschutz” möglicherweise verfassungsrechtlich heikel sein könnte, da man ein Individuum schwer zum Selbstschutz zwingen kann - ebenso, wie man niemanden dazu zwingen kann, mit dem Rauchen aufzuhören, oder sich gesünder zu ernähren - auch wenn hier ebenfalls selbstschädigendes Verhalten vorliegt, und potenziell Kosten für die Allgemeinheit entstehen. Denn wenn man einmal damit anfängt, selbstschädigendes Verhalten zu sanktionieren: Wo hört man damit auf?
Im Winter 2021/ 2022 hattten sich sowohl Lauterbachs BMG, als auch die Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP ideologisch fest auf die allgemeine Impfpflicht eingeschossen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob auch mildere Mittel infrage kämen, wurde an keiner Stelle angestellt. Stattdessen wurde in hoher Detailverliebtheit darüber sinniert, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen und Bußgelder Ungeimpften im Falle einer Impfverweigerung drohen dürften. Deutsche Gründlichkeit, jedoch leider an der falschen Stelle.
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass die allgemeine Impfpflicht in Deutschland im April 2022 nur deshalb nicht realisiert wurde, weil die unterschiedlichen Bundestagsfraktionen sich mit ihren Gesetzesentwürfen gegenseitig ausbremsten, so dass am Ende für keinen der Entwürfe eine ausreichende Mehrheit vorhanden war. Kein “Sieg der Vernunft” hat damals die Gesellschaft vor weiteren Zerwürfnissen bewahrt, sondern schnödes Parteien- und Machtgekungel.
Die Emails der “AG Impfpflicht” zeigen auf, auf welcher brüchigen Grundlage im Winter 2022 für die allgemeine Impfpflicht argumentiert wurde. Sie sind ein drohendes Mahnmal dafür, was sich in Deutschland auf keinen Fall wiederholen darf, wenn Artikel Eins und Zwei des Grundgesetzes - die Würde des Menschen und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung - in Zukunft wieder gelten sollen.